Glühweinwanderung 2012
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15. geführte Glühweinwanderung

Von Lambrecht bis zur "polnisch Grenz"
Förderverein Sauerbrunnen-Denkmalpflege e.V. lud zur 15. Glühweinwanderung ein – Rege Beteiligung bei hervorragendem Wetter


Abmarsch

Seit fünfzehn Jahren ist die Glühweinwanderung des Fördervereins Sauerbrunnen-Denkmalpflege e.V. eine feste Institution und zieht zahlreiche Wanderer an, die mittlerweile sogar teilweise von auswärts kommen, um Interessantes aus der Lambrechter Geschichte zu erfahren. Günther Greb, Klaus Liebrich und Gerald Lehmann hatten am vergangenen Sonntagvormittag in weiser Voraussicht ein Megaphon mitgebracht, um die große Schar an Mitwandernden mit Informationen und Anekdoten über die östliche Peripherie Lambrechts zu versorgen, entlang derer die Route in diesem Jahr verlief.


Günter Greb und Gerald Lehmann

Der Tuchmacherplatz an der Kreuzung Wiesenstraße/Fabrikstraße bildete den Ausgangspunkt der diesjährigen Wanderung. Von hier aus ging man über die Johann-Casimir- und die Gartenstraße vorbei an der Ruine des ehemaligen AWO-Seniorenhauses vorbei an Streuobstwiesen und noch recht neuen Holzskulpturen zu dem Grenzstein, der die Lambrechter von der Neustadter Gemarkung trennt. Hier wies Karl Liebrich auch auf das in unmittelbarer Nähe des Grenzsteins aufgestellte Schild „Blick zur polnischen Grenze“ hin – Näheres dazu, was es mit dieser Grenze auf sich hat, sollten die Wanderer später in Lindenberg erfahren.


Haltepunkt Krankenthal

Weiter ging es zur „Alten Maschine“, die 1823 als erste Tuchfabrik von 22 Tuchmachern erbaut und auf genossenschaftlicher Basis betrieben wurde, wie Greb erzählte. Die ersten Schritte zur Mechanisierung des Tuchmacherhandwerks im Lambrechter Tal hatten jedoch nicht die Tuchmacher selbst unternommen – im Gegenteil, sie sahen mit großer Skepsis, dass der Bankier Dacqué im Schöntal die erste Spinnmaschine aufstellen ließ und eine Lohnspinnerei in Betrieb nahm. Die Fabrik, die später „alte Maschine“ genannt wurde, war ein voller Erfolg, die genossenschaftliche Struktur jedoch erwies sich als nicht tragfähig, weshalb später die Tuchfabrikanten Kölsch und Hellmann die Fabrik in Besitz nahmen. 1906 wurde sie durch ein Feuer zerstört, die Gesellschafter gingen in Konkurs – noch heute bieten die später vom Färbereibesitzer Friedrich Meier erworbenen Reste keinen allzu erfreulichen Anblick.


Klaus Liebrich - Lambrechter Grenze

Anschließend ging man den Weg ein Stück zurück zur „Neuen Maschine“, heute eher bekannt unter dem Namen Knoeckel&Schmidt. Die Neue Maschine wurde 1832 von Genossen als „Zweite Tuchfabrik“ errichtet; daraus ging 1890 eine von den Gesellschaftern Theodor Knoeckel, Carl Albert Marx und Casimir Wagner gegründete Papierfabrik hervor, die anfangs nur geringwertige Papiere produzierte, sich nach zwanzig Jahren aber auf die Herstellung von Feinpapieren umstellte. Diesen Wandel hatte das Nahrungsmittelgesetz mitbewirkt; der Kaufmann Wilhelm Schmidt brachte 1909 sein entsprechendes Fachwissen und sein Patent für die Herstellung von Pergamyn mittels sogenannter Holländerwalzen ein. Nun konnten Knoeckel, Schmidt&Cie. – so der neue Name der Fabrik, der bis zur Einstellung der Produktion durch die nachfolgenden Betreiber im Jahr 2000 erhalten blieb – fettdichtes Papier als Verpackung für Margarine produzieren.


Polnisch Grenz

Weiter ging es über die Lambrechter Straße in Lindenberg zum Dörrental mit der 1955 gegründeten Karl-Rauch-Siedlung. Hier erzählte Gerald Lehmann viel Wissenswertes über den Heimatdichter, nach dem dieser Ortsteil benannt ist. Der 1887 geborene Karl Rauch hatte, wie zu seiner Zeit üblich, das Tuchmacherhandwerk gelernt und übte es in der Tuchfabrik der Gebrüder Haas aus. Ehrenamtlich tätig war er unter anderem als Leiter eines Kinderchors; vier Jahre lang besuchte er ein Konservatorium, wo er die Fächer Musik und Musikschule belegte. So konnte er im Ersten Weltkrieg drei Jahre lang als Kapellmeister wirken. Nach dem Krieg war er als Arbeitersekretär in Ludwigshafen beschäftigt, wohin er sich 1924 ummeldete. Nachdem er im Zweiten Weltkrieg drei seiner sieben Kinder und einen Schwiegersohn verloren hatte, wurde er 1944 noch selbst zu den Waffen gerufen und an der Ostfront verwundet; den Folgen seiner Verwundung erlag er dann im Februar 1945.

Was ihn gerade für das Lambrechter Tal so bedeutend macht, ist das umfangreiche literarische Erbe, das er hinterlassen hat und das auf einer umfangreichen Kenntnis der pfälzischen Geschichte beruht. Mit seinem vor wenigen Jahren wiederaufgeführten Sommertagsspiel lockte er zu Lebzeiten Zehntausende Menschen nach Lambrecht; überdies stammt das noch heute bei der Deidesheimer Geißbockversteigerung regelmäßig aufgeführte „Stadtgericht“ aus seiner Feder.

Auch sagte Lehnmann einige Worte zur Gaststätte „Zum Lindenberger Bahnhof“ an der „polnisch Grenz‘“. Beide Namen geben Rätsel auf, denn erstens hatte Lindenberg nie einen Bahnhof, und zweitens liegt, wie Ortskundige wissen, weder Lambrecht noch Lindenberg an der Grenze zu Polen. Der Name der Gaststätte ist wohl scherzhaft gemeint und lediglich der Nähe zu den Bahngleisen zu verdanken. Der Wirt, ein ehemaliger Webmeister namens Heinrich Sauerbrunn, ging wohl in Lambrecht der Tuchmacherei nach, ehe er zum Wirt umsattelte. Mit Spitznamen soll er auch Bohl genannt worden sein, was eine Erklärung dafür bieten könnte, warum seine Gaststätte im Volksmund auch als „Wirtschaft an der Polnisch‘ Grenz‘“ bekannt war – denn eine Grenze existiert dort, wo er seine Gäste bewirtete, tatsächlich, weil dort die Gemarkungen von Lambrecht und Lindenberg zusammenstoßen.


Blick ins Dörrental

Für die Bezeichnung als „polnisch“ hält Lehmann jedoch eine andere Herleitung für überzeugender. So sollen zur Zeit der Befreiungskriege auf der damals noch unbebauten Au des Speyerbachs die gegen Napoleon kämpfenden Truppen Quartier genommen haben, unter denen sich auch polnische Abteilungen befanden; zudem sollen im gleichen Bereich bei Arbeitskämpfen in der Tuchindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der gleichen Stelle Streikbrecher aus Lodz einquartiert worden sein – diese letzte Version, so Lehmann, sei die plausibelste.


Saladin-Klein-Wegbeschilderung

Sauerbrunn war nicht nur als Wirt, sondern auch als Bierkutscher tätig, berichtete Lehmann weiter; als Transportmittel diente ihm ein kleiner Kutschwagen, den er von zwei Geißen ziehen ließ – eine Postkarte zeugt davon bis heute. Seine Wirtschaft hat er wohl 1922 aufgegeben, als er mit seinem Sohn in den Schwarzwald verzog.


Saladin-Klein-Weg

Die letzte Station der Wanderung war die Realschule plus in Lambrecht, wo dank Wolfgang Jeschke vom Gemeinschaftshaus für das leibliche Wohl gesorgt war – hier gab es Rinds- und Bratwürste, einige Kaltgetränke und natürlich den Glühwein, der der Wanderung seit 15 Jahren ihren Namen gibt.

Begleitschrift von Gerald Lehmann als PDF-Dokument

Text: Stefan Hartmann
Fotos: Jutta Zimmer